Stillstart mit Ramona Noll: "Es gibt weniger Regeln, als oft vermittelt wird."
Liebe Ramona, danke, dass du dir die Zeit nimmst und uns heute ein paar Fragen zur Stillvorbereitung und zum Still-Start beantwortest. Du bist Still- und Familienberaterin, Pädagogin und selbst Mutter von vier Stillkindern. Und berätst undogmatisch zum Thema Stillen, Nicht-Stillen und Abstillen, das lieben wir natürlich sehr.
Heute soll es ja um die Vorbereitung aufs Stillen gehen und diese allerersten Stunden und Tage im Krankenhaus. Aber lass uns so richtig am Anfang beginnen und die Frage aller Fragen stellen: kann ich mich irgendwie körperlich und mental aufs Stillen vorbereiten? Und wenn ja, WIE?!
Die Antwort lautet ganz klar: Jein.
Also Nein im Sinne von: bitte keine Bürsten-Massagen oder Handtuch-Rubbel-Aktionen zur Abhärtung der Nippel machen oder so. Das ist absoluter Mist, Schnee von übervorgestern und insofern sogar gefählrich, als dass die Brustwarzen dadurch verletzt werden können und das Infektionsrisiko steigen kann. Körperlich kannst und musst du eigentlich gar nichts machen. Du kannst, wenn das für dich gerade geht, auf deinen Körper aufpassen, ausgewogen essen, ausreichend trinken, Bewegung - aber das ist es dann auch schon.
Ein klares JA habe ich hingegen für die mentale Vorbereitung. Da gehört für mich dazu, sich mit anderen (Ex-)Stillenden auszutauschen, das können Freundinnen sein oder du besuchst ein Stillcafé. Du kannst Stillgeschichten lesen, z.B. auf meinem Blog und dich allgemein informieren und dir Wissen aneignen, um eine gewisse Basis zu haben. Ob durch Bücher oder einen Stillvorbereitungskurs. Ich finde das wichtig, weil ich in den Beratungen im Wochenbett am häufigsten diesne Satz höre: "Hätte ich das mal vorher gewusst." Oder: "Das hat mir keiner gesagt." Viele denken auch, dass sie im Krankenhaus oder von ihrer Hebamme viel Beratung zum Still-Start bekommen. Und finden dann schmerzhaft heraus, dass im Krankenhaus oft keine Zeit ist, die Stillberaterin nur mittwochs zwischen 12 und 13 Uhr da ist, nicht alle Fachkräfte up to date sind mit ihrem Stillwissen und nicht jede Hebamme automatisch auch Stillberaterin ist.
Aus meiner langjährigen Erfahrung heraus bin ich wirklich sehr sicher, dass ganz viele anfängliche Stillprobleme nicht oder weniger dramatisch aufkämen, wenn das Wissen um den eigenen Körper etwas ausgeprägter vorhanden wäre. Da geht es um Themen wie "Wie funktioniert die Milchproduktion überhaupt?", "Wie wird die Milch mehr?", "Warum trinkt mein Kind so oft?" und "Darf es nun weh tun oder nicht?". Und trotzdem: kein Kurs oder Buch der Welt schützt dich zu 100% vor Stillproblemen. Weil jede Stillbeziehung so individuell ist und niemand weiß, welcher Mensch da geboren wird und unter welchen Umständen. Das Wochenbett ist so eine krasse Zeit in die dann auch die ersten Stillmomente fallen. Das kann schon mal überfordern. Dann ist es gut, einige Basics und Hacks parat, eine Stillberaterin auf Kurzwahl zu haben und zu wissen, wo ich zuverlässig Informationen nachschauen kann.
Und dann kommt natürlich noch die ganz praktische Vorbereitung: ihr könnt einen "Stillthron" (oder einfach einen Sessel ;)) herrichten, Kissen und Decken parat legen, Snacks und eine praktische Wasserflasche besorgen, ggf. ein Höckerchen für die Füße bereit stellen, euch passende Still BHs und Oberteile zum Knöpfen besorgen, Stilleinlagen und Spucktücher zu Hause haben.
Ok, ich halte fest: körperliche Vorbereitung: nein, mentale Vorbereitung und Auseinandersetzung mit dem Thema: unbedingt. Bei allem "Wissen", das so rund ums Stillen durch den Orbit schwirrt, sind auch immer ein paar hartnäckige Mythen dabei. Erzähl mal: was sind deine drei Lieblings-Mythen rund ums Stillen?
Stillen ist natürlich.
Ist es nicht. Stillen ist eine sozial erlernte Fähigkeit und das ist auch der Grund, warum es uns heute oft so schwer fällt. Denn wir sitzen eben nicht mehr mit vielen anderen Frauen ums Feuer und Stillen gemeinsam, sehen täglich stillende Brüste und verschiedene Techniken. Das ist aus verschiedenen Gründen auch ganz gut (also dass wir nicht mehr in der Setinzeit leben), macht das Stillen aber in Teilen etwas herausfordernder und es umso wichtiger, sich darüber auszutauschen.
Stillen tut weh/ tut nicht weh.
Klar, am Anfang kann ein Ansaugschmerz auftreten, es kann ein bisschen zwicken und zwiebeln. Aber alles, was du als "Schmerz" klassifizieren würdest (und hier geht es um dein individuelles Schmerzempfinden!) soll so nicht sein.
Kein Kohl, keine Zwiebeln, kein Knoblauch sonst explodiert das Baby.
Nein, nein, nein. Milch wird aus dem Blut gebildet und nicht aus deinem Mageninhalt. Keine Studie der Welt konnte nachweisen, dass Lebensmittel Blähungen bei deinem Kind verursachen. Die Blähungen sind vielmehr auf den sich noch entwickelnden Darm des Babys zurrück zu führen und können von dir nicht beeinflusst werden.
Die Brust muss leer getrunken werden.
Auch, wenn es sich manchmal so anfühlt: Brüste können nicht leer getrunken werden, weil: neue Milch wird schon während des Stillens nachgebildet.
Sekt für die Milch.
Man mag es kaum glauben, aber dieser Mythos hält sich (erstaunlicherweise vor allem unter Schwiegermüttern) ziemlich hartnäckig. Und stimmt natürlich nicht. Ganz abgesehen davon, dass Alkohol vom Blut direkt in die Muttermilch gelangt, kann der Konsum alkoholischer Getränke und anderer Drogen die Milchbildung tatsächlich negativ beeinflussen.
Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass wir gerade noch im Kreißsaal liegen, Baby gerade auf die Brust gelegt und es soll jetzt das erste mal angelegt werden - was kann hier schief gehen (und wie kann man das vielleicht verhindern)?
Es geht ja schon los mit dem Anlegen - ein gesundes, reifes Neugeborenes muss nicht angelegt werden, es findet tatsächlich ganz allein zur Brust. Dieser sogenannte "Breast Crawl" passiert nämlich ganz natürlich: Wir sind Säugetiere und das Baby sucht seine Milchquelle. Wenn das von alleine geschehen kann, top. Und wenn nicht? Auch kein Weltuntergang! Dann legen wir an. Schön wäre es hier, wenn wir wüssten wie das geht und es im Idealfall vorher schon mal in einem Kurs oder bei einem Stilltreffen gesehen hätten - das haben wir oben ja schon besprochen.
Was auf keinen Fall passieren sollte: eine medizinische Fachkraft nimmt die Brust und stopft sie in den Mund deines Babys. Das ist grenzüberschreitend, übergriffig und überflüssig. Geschultes Personal kann es so erklären, dass die Stillende das selbst hinbekommt.In diesem Zusammenhang rate ich allen Schwangeren: Macht einen Geburtsplan, der auch eure WÜnsche zum Stillen umfasst: Ich möchte stillen. Ich möchte, dass eine Flaschengabe vermieden wird. Ich möchte keinen Schnuller. Ich möchte nicht stillen. Mir ist es wichtig, dass ich sofort anlegen kann. So ein Plan ist gerade auch dann wichtig, wenn z.B. eine Trennung von Mutter und Kind stattfindet.
Wir hören auch leider immer wieder so mittelschöne Geschichten aus den ersten Tagen im Krankenhaus: Menschen, die ungefragt Brüste anfassen und in Babymünder schieben, wenig Beratung, ignorierte Schmerzen - was rätst du Gebärenden hier und wie können sie sich konkret Hilfe holen?
Wenn Dich jemand ungefragt anfasst: Sage Stopp! Das ist dein Körper, du entscheidest. Selbst wenn vorher gefragt wird, du es aber dann als unangenehm empfindest - sage Stopp! Ich höre es ja auch so oft in den Beratungen und dann dass die Frauen sich nicht getraut haben was zu sagen und denken, das gehöre eben so. Da müssten sie nun durch. Aber nein! Auf gar keinen Fall!
Mindestens genauso wichtig: Bei Schmerzen bitte nicht abwimmeln lassen. Auch da höre ich immer wieder wie auch Ärzt*innen sagen: Das gehört halt dazu. NEIN! Niemand muss oder sollte Schmerzen aushalten. Wir wissen doch auch aus anderen Bereichen, dass das eher kontraproduktiv ist, weil wir Schonhaltungen einnehmen, falsch belasten, usw. Beim Stillen ist es auch so: Habe ich zum beispiel Schmerzen oder sogar Angst vor dem nächsten Anlegen, verkrampfe ich. Dann tut es noch mehr weh, ich habe Muskelverspannungen im Nacken, im Rumpf und das Stillen wird immer schwieriger. Auch während der Stillzeit gibt es stillverträgliche Schmerzmedikamente und die dürfen euch nicht vorenthalten werden. Wenn ihr Schmerzen habt, fragt nach Medikamenten und nach einer fundierten Beratung. Besteht darauf, dass eine Stillberaterin kommt oder deine eigene kommen darf, wenn du noch im Krankenhaus bist. Und wenn du schon zu Hause bist, hol dir eine Stillberaterin dort hin oder lasse dich online beraten, das bieten mittlerweile auch viele Stillberaterinnen an (so auch ich :)).
Was für ein Appell, vielen Dank! Wir haben in unserer
Und weil dein Aufruf oben gerade so schön war, gibt es hier nochmal die Gelegenheit: Was möchtest du allen schwangeren Leserinnen zum Thema Stillvorbreitung/Stillstart sagen?
Atmen. Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird.
Wenn irgendjemand sagt: sie müssen zufüttern, ihre Milch reicht nicht, so geht das hier alles nicht - oder: Mit diesen Brüsten können sie eh nicht stillen - dann rate ich immer erstmal dazu, tief durchzuatmen. Danach dann: Hilfe organisieren und ins Gespräch gehen, mit der Hebamme oder einer Stillberaterin. Denn meistens ist keine akute Gefahr in Verzug, wir können erst mal überlegen und nichts innerhalb von fünf Minuten entscheiden.
Es gibt weniger Regeln beim Stillen, als allgemein vermittelt wird.
Stille nach Bedarf, wenn dein Kind die Brust verlangt. Du musst auch keine Zeit einhalten, keine Mindest- oder Maximalabstände und die Brüste nicht abwechselnd stillen.
Und wenn dir igendwas komisch vorkommt, zu dogmatisch (egal in welche Richtung und von wem): hole dir eine zweite Meinung. Denn jede Stillbeziehung ist einzigartig und es geht darum, deinen Weg zu finden.
Weitere Informationen und das Angebot von Ramona Noll findet ihr hier
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