"Welchen Rat gibst du anderen Menschen mit Behinderung, die eine Familie gründen möchten?" - "Go for it!"

Ninia lebt in Hannover, ist Moderatorin, Autorin, Sprecherin und Schauspielerin und Mutter eines Kindes. Ninia berichtet und in diesem Interview von ihrer Schwangerschaft und Geburt, den Herausforderungen, denen sie sich als kleinwüchsige Personen gestellt hat und warum behinderte Menschen, die schwanger sind, keine Sonderbehandlung brauchen, sondern einfach wie alle anderen eine gute, engmaschige und empathische Versorgung und Unterstützung. Inhaltswarnung: Ninia berichtet in dem Interview auch von belastenden Geburtserfahrungen und der Zeit, in der ihr Kind auf der Kinderintensivstation lag. Fotocredit: Anna Peschke

Hallo Ninia! Das Wichtigste zuerst: Vielen Dank, dass du dir heute Zeit nimmst und uns von deiner Erfahrung erzählst, wie du als Mensch mit Behinderung deine Schwangerschaft, die Geburt und das Wochenbett erlebt hast. Bevor wir aber gleich richtig einsteigen, stell dich gerne einmal kurz für unsere Leser*innen vor.

Hi, ich bin Ninia, ich lebe im wunderschönen Hannover und bin selbstständig als Moderatorin, Autorin, Sprecherin und Schauspielerin. Ich moderiere auf Veranstaltungsbühnen, vor Kameras und im Podcast-Studio. Mein Fokus liegt dabei auf Gesellschaft, Politik, Sport und Mode. Ich lese gern kitschige Romcoms und könnte mich sieben Tage die Woche ausschließlich von Pommes ernähren. Zum Glück kocht zuhause aber mein Mann für mich und unsere gemeinsames Kind.

Danke :). Wir wollen heute über Ableismus Sprechen. Ableismus meint, dass Menschen im Alltag auf ihre körperliche oder psychische Behinderung oder zum Beispiel auf eine Lernschwierigkeit reduziert und ungleich behandelt werden. Und weil wir hier bei the weeks sind, geht es natürlich ums Schwangersein - und in diesem Kontext ist Ableismus ein riesiges Thema. Vielleicht fangen wir mal ganz von vorn an, beim Kinderwunsch - der wird Menschen mit Behinderung nämlich in vielen Fällen geradezu abgesprochen. Warst auch du mit Irritation konfrontiert, wenn du geäußert hast, dass du vielleicht auch mal Kinder bekommen möchtest - oder hat es sogar deine Gedanken zum Kinderkriegen beeinflusst?

Ich war in meiner Familie und in meinem persönlichen Umfeld lange die einzige kleinwüchsige Person. Bis ich über’s Internet andere kleinwüchsige und behinderte Menschen kennengelernt habe, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich – und die natürlich auch Vorbild für das Thema Elternschaft sein konnten. Mein Kinderwunsch war nicht immer ausgeprägt und wurde dadurch nicht beeinflusst. Ich hab immer gedacht, dass wenn ich eines Tages ein Kind kriegen möchte, ich das schon hinbekommen würde. Auch von außen wurde das Thema im Vorfeld nicht an mich herangetragen – als ich dann aber schwanger war, kam schon relativ häufig die Frage, ob das denn beabsichtigt gewesen wäre. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das auch nicht-behinderte Menschen gefragt werden. Ich war bei mehr Vorsorgeuntersuchungen als üblich und bei der Humangenetikerin, auch für den Versuch herauszufinden, ob mein Kind auch kleinwüchsig sein würde. Für mich hätte das keinen Unterschied gemacht, ich hab mich dem Druck von medizinischer Seite einfach gebeugt, weil ich mir sicher war, dass es keine Konsequenzen für mich und uns als Paar gehabt hätte, wenn das Kind auch klein gewesen wäre.

Die medizinische Versorgung rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist aufgrund von Personalmangel, mangelnder Sensibilität und nicht ausreichend diskriminierungs-sensibler (Aus-)Bildung der Versorgenden oft nicht diskrimierungs-sensibel. Welche Erfahrungen hast du im medizinischen Kontext mit Diskriminierung/Ableismus gemacht? Welchen Herausforderungen bist du begegnet und wie bist du mit diesen umgegangen?

Ich hatte eine Situation mit einem Arzt, der beim Ultraschall lächelnd zu mir sagte: „So, also wir können sicher sein, so wie Sie wird es nicht.“ Das empfand ich als absolut unangemessen. Meine eigene Gynäkologin ist sehr cool, deshalb ist sie meine Gynäkologin, und sagte nur: „Was reinkommt, kommt auch wieder raus.“ Ansonsten hatte ich ähnliche Erlebnisse wie viele andere Menschen, die Eltern werden, die aber nicht unbedingt direkt mit meiner Körpergröße zu tun hatten. In der Schwangerschaft hab ich mir selbst die Frage gestellt, wie ich damit umgehen werde, wenn das Kind größer wird und ich es – bedingt durch meine Größe – nicht mehr tragen kann. Da sagte eine andere kleinwüchsige Mutter zu mir: „Dann setzt ihr euch halt beide auf den Boden.“ So einfach kann es sein.

Und ein Blick auf die Geburt: inwiefern hast du das Gefühl, dass du frei entscheiden konntest, wie du dein Kind zur Welt bringst? Oder wurdest du zu einer bestimmten Geburtsform "gedrängt"?

Ich wurde im Vorfeld untersucht, ob mein Becken auch mit meiner Größe bereit ist für eine vaginale Geburt. Das wäre möglich gewesen. Letztendlich wurde die Geburt aber am Geburtstermin eingeleitet, mit einem Medikament, das heute in Deutschland nicht mehr verwendet werden darf. Hier hatte ich erst im Nachhinein die Erkenntnis, das ich dazu eher gedrängt wurde. Bei der ersten Geburt ist man ja immer unsicher, verlässt sich auf Profis und das Kind sollte in mir nicht noch größer werden. Allerdings hat sich mein Kind dann die Nabelschnur zweimal um den Hals gewickelt und musste, als seine Herztöne weg waren, in einem sehr schnellen Notfallkaiserschnitt geholt und wiederbelebt werden. Es war dann erst drei Tage in einem Kältebettchen, in dem der Körper runtergekühlt wird, damit sich das Gehirn vom Sauerstoffmangel erholen kann und dann noch knapp zwei Wochen auf der Intensivstation, um aufgepäppelt zu werden. Das war alles, auch in der Uniklinik, in der ich entbunden habe, ein sehr außergewöhnlicher Fall und hatte vermutlich mehr mit der Einleitung und dem Mediakament zu tun als mit meiner Körpergröße. Also, nein, ich hatte ungefähr das Gegenteil des Gefühls frei entscheiden zu können :D.

Im Wochenbett geht es unter anderem darum, in der neuen Rolle als Elternteil anzukommen, zu heilen, das Baby kennen zu lernen. Hast du das Gefühl, dass du in dieser Zeit aufgrund deiner Behinderung besonderen Herausforderung gegenüber gestanden hast? Und gab es spezielle Hilfe, die du in Anspruch nehmen konntest?

Angesichts der Geburtsumstände hatte ich kein klassisches Wochenbett, ganz unabhängig meiner Behinderung. Ich war täglich in der Klinik, um meine abgepumpte Milch abzugeben und mein Kind zu besuchen. Da war nicht viel mit in der neuen Rolle ankommen und heilen. Das passierte erst, als wir zwei Wochen später auch das Kind mit nach Hause nehmen durften. Spezielle Hilfe, außer die meiner Hebamme, hatte ich nicht.

Menschen mit Behinderung sind ohnehin gesellschaftlich wenig sichtbar - und schwangere Menschen mit Behinderung oder kleinen Kindern noch viel weniger. Wie war das bei dir, wurdest du als sichtbar schwangere und behinderte Person oder nach der Geburt mit deinem Baby/Kind von fremden Menschen angesprochen? Wie bist du damit umgegangen?

Ja, das wurde ich tatsächlich. Von der Vermutung, ich wäre noch ein junger Teenager oder den Fragen, wie die Geburt war oder danach, ob denn „wenigstens“ der Vater groß sei. Ich antworte darauf immer ziemlich direkt und oft auch sarkastisch.

Was müsste aus deiner Sicht im Kontext Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett passieren, um Diskriminierungen aufgrund von Behinderungen wirksam bekämpfen zu können?

Im Grunde alles, was sich grundsätzlich verbessern muss: Arbeitsbedingungen, Versorgungslage usw. Ich würde es gut finden, wenn Hebammen und medizinisches Personal in ihrer Ausbildung mehr über Behinderungen und Ableismus lernen würden – und dass eine Behinderung nicht der absolute Sonderfall oder was ganz Furchtbares ist. In meinem Geburtsvorbereitungskurs waren Geburtskomplikationen und Schwangerschaften wie meine quasi nicht vorgesehen. Behinderte Menschen, die schwanger sind, brauchen keine Sonderbehandlung, sondern einfach wie alle anderen eine gute, engmaschige und empathische Versorgung und Unterstützung.

Und, wenn du möchtest: welchen Rat würdest du anderen Menschen mit Behinderung geben, die darüber nachdenken, eine Familie zu gründen oder eine Schwangerschaft zu bewältigen?

Go for it.

Yeah! Vielen Dank für das wunderbare Gespräch! Mehr über Ninia erfahrt ihr auf ihrem Instagram-Kanal und auf ihrer Website.

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Wir bei the weeks wollen das Thema "Ableismus" im Kontext Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett noch viel mehr in den Fokus rücken und sind dabei, weitere Interviews mit großartigen menschen vorzubereiten, brauchen dafür aber noch einen Moment. In der Zwischenzeit könnt ihr gerne zum Beispiel hier weiter lesen:

Blinde Eltern, sehende Kinder - Lydia Zoubek berichtet von Schwangerschaft und Wochenbett als blinde Person.

Barrieren abbauen - Anna Gerwinat berichtet von Schwangerschaft und Wochenbett als Person im Rolllstuhl

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